Jahr 460
Seid gegruesst, edle Damen und Herren!
Kaum, daß Bruno mit seiner furiosen Rückkehr die Geschehnisse auf Tamar
gründlich durcheinanderwirbelte, da scheint er auch schon wieder
verschwunden zu sein. Während nämlich der Krieg zwischen Merlin und dem
Guotherreich auf der einen und dem Norderbund und Mitgliedern des
Drachenblutbundes auf der anderen Seite immer noch tobt, wurde bekannt, daß
das Reich Guother keineswegs von Bruno geführt wird. Vielmehr ist es Lord
Merlin, der dort, wie verlautet wurde allerdings nur vertretungsweise, das
Zepter in der Hand hält. Bekannt wurde diese Tatsache allerdings nur durch
einen interessanten Vorfall. Lord Merlin nämlich verkündete, daß durch
einen Fehler seinerseits das Guotherreich in arge Geldnot gekommen sei.
Als er versuchte, diesen Fehler durch einen Notkauf von guotherschen Waren
auf dem öffentlichen Markt auszumerzen, schlug der Handel fehl, was dazu
führte, das er die Truppen unter guotherscher Flagge auflösen mußte. Er bat
seine Gegner darum, diese Situation nicht auszunutzen und die Waffen
zeitweise ruhen zu lassen, da der fehlgeschlagene Handel nicht sein Fehler
sei. Lord Potter hielt sich jedoch nicht daran und griff weiter Städte und
Armeen unter guotherscher Flagge an. Merlin beschwerte sich daraufhin
bitter in der Halle der Aushänge über diese, seiner Meinung nach höchst
unehrenhafte, Handlungsweise. Angesichts der Tatsache, daß Bruno den Krieg
gegen Potter mit dem Angriff auf dessen neuerworbene Stadt begonnen hat,
muß sich doch aber keiner wundern, wenn Lord Potter nicht gewillt ist, die
sich ihm bietende Gelegenheit unter dem Hinweis auf die Ehrenhaftigkeit
fahren zu lassen, wenn ihm zuvor diese ehrenhafte Handlungsweise selbst
verwehrt wurde.
Im Angesicht der Misere im Guotherreich und der damit verbundenen Probleme
im Krieg bot der Norderbund Merlin an, den Krieg zu beenden, wenn dieser
seine Kapitulation erkläre und sich nahezu völlig aus Kasperia zurückziehe.
Lord Merlin lehnte allerdings ab und scheint entschlossen, weiterzukämpfen.
Auch im Krieg in der alten Welt zwischen Lord Wolfen und Lord Threepwood
gibt es kaum Neuigkeiten. Während sich mittlererweile ungefähr fünf Reiche
an der Seite Threepwoods gegen Lord Wolfen stellen, wird dieser mit hohen
Zuwendungen von Lord Lipsius und möglicherweise noch anderen unterstützt.
Leider scheint es doch einige Unterschiede zwischen Lord Wolfen und den
Gründern zu geben, als deren Erbe er sich so gern bezeichnet. So war sein
Namensvetter vor vielen Jahren ein Meister des geschliffnen Wortes und der
scharfen Zunge, während sein heutiges Pendant nur über einen arg begrenzten
Wortschatz zu verfügen scheint. Nach und nach verspielt er sich die
Sympathien anderer Lords damit, daß er mit den immer gleichen Schimpfworten
um sich wirft und freudig verkündet, wieviele Gegner wieder den Tod auf dem
Schlachtfeld finden mußten.
Ein trauriges Ende nahm das Reich des Lord Tankred Bilijam. Der angebliche
Sohn des Armand Guother schied vollkommen unbeachtet und ohne einen
angemessenen Nachruf aus dem leben. Keiner der Getreuen Guothers oder des
Reiches Tamarien hielt es für nötig, seiner mit einem kurzen Schreiben zu
gedenken. Sein Tod und der Verfall seines Reiches wurde auch mir erst durch
die Anfrage eines kleinen Regenten mit Namen Keldar bekannt. Dieser hatte
nämlich in Nachbarschaft seines Reiches einige nicht mit Grenzsteinen
bezeichnete Morgen Land entdeckt und wollte diese in Besitz nehmen.
Höflicherweise fragte er jedoch öffentlich nach, ob noch jemand Anspruch
auf diese Gebiete erhob, was von Lord Merlin mit der lapidaren Auskunft
bedacht wurde, daß jenes Land zum Reich des verblichenen Lord Tankred
Bilijam gehörte.
Vor kurzem wurde endlich mal wieder eine Hochzeit gefeiert. Nachdem Lady
Corinne und Lord Joe ihre Vermählung angekündigt hatten, konnte auch ich
wieder einmal die Zeit finden, an einer solchen Feierlichkeit teilzunehmen.
Es war ein wirklich schönes Ereignis, welches für einige Stunden Ruhe und
Besinnlichkeit in das Leben der Gäste brachte. Besonders angetan war ich
von den sorgfältig gewählten Worten, mit denen Lord Thoralf durch die
Zeremonie führte.
Tamar, im Jahre 460
Zurück zur Chronik
|