Seid gegruesst, edle Damen und Herren!
Vor kurzem wurde mir in der Taverne von Baron Feanor eine interessante
Entdeckung eines seiner Kundschafter geschildert. Dieser Kundschafter war
bei seinen Erkundungen auf der Insel Eternia auf den Ländereien unterwegs,
welche vor vielen Jahren meinem vormaligem Dienstherren Alberich gehörten.
Unweit der damaligen Hauptstadt stieß der Kundschafter auf eine kleine
Kapelle. Baron Feanor nahm an, ich wüßte etwas über diese Kapelle, aber ich
war genauso erstaunt über die Entdeckung wie er. Ich habe mir diese Kapelle
inzwischen selbst auf einer Reise angesehen. Es ist ein schlichter, aber
zugleich wunderschöner Bau. Obwohl ich mich nicht erinnern kann, daß dieses
Bauwerk früher schon dort gestanden hätte, machte es den Eindruck, als wäre
es schon immer dort gewesen, während gleichzeitig sein tadelloser Zustand
so wirkte, als hätte man den Bau gerade erst fertiggestellt.
Als ich mich dem Eingang näherte, bemerkte ich eine gleichsam feierliche
Stille. Bei dem Versuch, zu ergründen, aus welchem Grunde diese Kapelle
hier errichtet worden sei, fiel mir eine Inschrift auf einer Steintafel
neben dem Eingang auf. Dort stand in goldenen Lettern: Die Vergänglichkeit
aller irdischen Dinge ist ein Quell unendlichen Leids - und ein Quell
unendlichen Trostes."
In der Kapelle waren nur wenige Einrichtungsgegenstände. Zuerst fiel das
Bild einer gütig blickenden Frau auf, welches die Wand gegenüber dem
Eingang schmückte. Davor ein kleiner Tisch, auf dem frische Blumen und eine
brennende Kerze standen.
Einziger weiterer Hinweis war eine weitere Steintafel an der Seitenwand des
einzigen Raumes, auf welcher folgende Worte zu lesen waren: "Meiner
geliebten Großmutter zur ewigen Erinnerung. W."
Trotz der Tatsache, daß die Blumen frisch waren und auch die Kerze noch
nicht lange brennen konnte, konnte ich keinen Menschen in der Nähe der
Kapelle entdecken. Ringsum herrschte überhaupt eine beinahe feierliche
Ruhe, kein Geräusch störte die friedliche Stille.
Auch nach intensiven Nachforschungen konnte ich nicht in Erfahrung bringen,
von wem und wann diese Gedenkkapelle errichtet wurde. Das Einzige, was ich
in alten Schriften fand, war die Beschreibung ähnlicher Bauten. Es war wohl
in früheren Zeiten durchaus üblich, für einen geliebten Menschen ein
solches Haus des Andenkens zu errichten.
Von Lady Altair, die ja nun schon des öfteren durch ihre äußerst direkte
und freche Art der Konversation auf sich aufmerksam machte, gibt es leider
nichts Angenehmes zu berichten. Die Lady hielt es neulich für angebracht,
eine private Botschaft, welche Lady Marinella ihr zukommen ließ, in einem
öffentlichen Aushang zu verwenden. Die dort aufgeführte Abschrift der nicht
für die Öffentlichkeit bestimmten Nachricht begründete sie damit, daß ja
sowieso jedermann auch diese privaten Nachrichten lesen könne. Ganz davon
abgesehen, daß es einerseits höchst unanständig ist, private Nachrichten
ohne Einverständnis des Urhebers zu veröffentlichen und andererseits eine
Abschrift einer solchen Botschaft ja noch nicht einmal garantiert, daß der
Inhalt noch mit dem Original übereinstimmt, ist die Aussage von Lady Altair
schlicht falsch. Die Bediensteten in der Halle der Aushänge, welche die
privaten Nachrichten entgegennehmen, haben strikte Verhaltensregeln. So
werden diese Nachrichten immer nur versiegelt in Verwahrung genommen und
auch nur an den entsprechenden Empfänger ausgehändigt, welcher sich dazu
noch mit einem speziellen Kennwort zu erkennen geben muß, daß nur ihm
bekannt ist. Auf diese Weise ist es ausgeschlossen, daß ein als privat
gekennzeichnetes Schreiben von einem Fremden gelesen werden kann.
Lady Altair, welche nach der Vertreibung von ihrem Land durch Lord Egbert
einen Neuanfang gewagt hatte, entschloß sich schließlich, sich ganz von
Tamar zurückzuziehen, was angesichts ihrer zuletzt äußerst undiplomatischen
Art wahrscheinlich auch das Beste für sie war.
Der Krieg zwischen den Nachfahren Lucksis und Brightblades hat endlich ein
Ende. Lady Brightblade hatte ja schon kurz nach der Gründung ihres Reiches
einen Krieg gegen Lord Lucksi begonnen. Nachdem die Lady sich darauf
versteifte, daß der in dieser Chronik früher schon erwähnte üble
Schwarzmagier Thargo die Regierungsgewalt in Lucksis Reich an sich gerissen
hätte, hatte sie nichts anderes mehr im Sinn als die Vernichtung von Lord
Lucksi. Sie blieb allerdings jeden Beweis für eine eventuelle Rückkehr
Thargos schuldig und auch Lucksi bestritt diesen Umstand vehement.
Jedenfalls fand der Krieg mit der Vernichtung von Lady Brightblades Reich
ein Ende. Die Lady konnte jedoch fliehen und sie schwor Lucksi blutige
Rache und erklärte, daß sein Tod beschlossene Sache wäre. Sehr bedauerlich,
daß der alte Konflikt, den die Vorfahren beider Regenten vor so langer Zeit
ausfochten, zu immer neuem Streit führt.
Lady Marinella, welche seit einigen Jahren mit Vicomte Lipsius vermählt
ist, hatte freudige Kunde zu vermelden. Sie gebar gesunde Zwillingskinder,
ein Mädchen und einen Jungen. Zu diesem freudigen Ereignis erreichten das
glückliche Paar aus vielen Reichen herzliche Glückwünsche, verbunden mit
den besten Wünschen für die Kleinen.
Vor kurzem wurde ich leider Zeuge davon, wie schnell sich die Meinung
mancher Personen ändert, wenn sie feststellen müssen, daß ihr Name oder
ihre Sache nicht im glämzendsten Licht in der Chronik dargestellt werden.
In letzter Zeit habe ich ja einige kritische Töne in Bezug auf den Weg, den
Kaiser Guother eingeschlagen hat, verlauten lassen. Während sich Armand
Guother selbst dazu jedoch sehr zurückhaltend geäußert hat und in letzter
Zeit auch weitaus mildere Reden veröffentlicht, schlug die Kritik Baron
Feanor anscheinend schwer auf den Magen, Wohl noch gewohnt, daß er, ob
seiner Arbeit am großen Tamarischen Atlas recht wohlwollend in früheren
Chronikausgaben bedacht worden ist, kam er mit der Kritik weitaus
schlechter zurecht.
So mußte ich mir dann eines Abends in der Taverne vorwerfen lassen, ich
wäre zu weit weg von den Geschehnissen Tamars, und ich wüßte viel zu wenig
von den Dingen, die aktuell so vor sich gängen, um solche Kritik am
Kaiserreich zu üben. Er warf mir vor, ich würde nur Halbwissen verbreiten
und damit unberechtigterweise den Kaiser in Mißkredit bringen. Selbst
nachdem ihm der ebenfalls anwesende Armand Guother Mäßigung gebot, äußerte
er sich weiter höchst abfällig über meine Arbeit. Das ganze gipfelte in der
unverschämten Behauptung, ich würde öfter ein Auge auf junge Damen werfen,
und nochdazu auf solche, welche sich ungesittet benehmen würden. Zu solch
einem Unsinn werde ich mich nicht äußern.
Die Behauptung jedoch, ich würde nur über ungenügende Informationen
verfügen, muß ich ganz entschieden zurückweisen. Mir stehen nicht nur die
zahlreichen Anschläge in der Halle der Aushänge zur Verfügung, welche ich
alle aufmerksam studiere. Wann immer ich in der Taverne weile, höre ich
aufmerksam auf die dort geführten Gespräche. Zudem werde ich des öfteren
von den verschiedensten Damen und Herren zu einem privaten Gespräch in
eines der Hinterzimmer gebeten und nicht zuletzt erreichen mich auch öfters
private Schreiben, in welchen ich von den verschiedensten Vorkommnissen auf
Tamar unterrichtet werde. Ich kann nicht behaupten, daß ich wirklich alles
erfahre, was auf Tamar vor sich geht, aber das geht allen anderen Regenten
ebenso.
Zuguterletzt sei noch angemerkt, daß ich ja keineswegs der Einzige bin, der
sich kritisch zum Kaiser oder einem seiner Minister äußert. Baron Feanor
hat aber gerade in letzter Zeit einige Streitschriften auf die Anschläge
anderer Lords verfaßt und da ist ihm wohl mir gegenüber das eine oder
andere Wort entglitten, daß eines ehrenwerten Lords und Ministers eines
Kaisers höchst unwürdig ist. Das entschuldigt sein Verhalten natürlich
keineswegs, auch, wenn er weder der Erste war, der Kritik an meiner Arbeit
übte, noch er der Letzte sein wird, der solches tut. Jedoch die Art und
Weise, in der er mich öffentlich angriff, war über die Maßen ungebührlich.
Tamar, im Jahre 375