Jahr 365
Seid gegruesst, edle Damen und Herren!
Ein eigentlich harmloser Vorfall entwickelte sich in den letzten Jahren zu
einem wirklichen diplomatischem Wirrwarr. Inmitten des Landes von Lord
Egbert hatten in er Vergangenheit immer wieder Lords versucht, auf einem
bestimmten Flecken ein eigenes Reich zu gründen. Leider war den meisten von
ihnen nur wenig Erfolg beschieden und so mußte Egbert mit ansehen, wie die
entsprechende Siedlung mehrere Male den Besitzer wechselte und
zwischendurch immer wieder verfiel. Gerade, als er diesem Zustand ein Ende
machen wollte und die entsprechenden Ländereien endgültig in sein Reich
eingliedern wollte, wurde eine Lady mit dem Namen Altair auf diesem Lande
ansässig.
Das ist ein durchaus üblicher Vorgang, nur führte er in diesem Falle dazu,
daß Lord Egbert einige Morgen Land in direkter Nähe der Siedlung als sein
Eigentum gekennzeichnet hatte, auf welche aber auch Lady Altair Anspruch
erhob. Als die Lady ihren Anspruch nun mit einem öffentlichen Schreiben in
der Halle der Aushänge geltend machen wollte, wurde sie von Lord Egbert mit
sehr barschen Worten zurechtgewiesen. Diese Worte waren wirklich äußerst
beleidigend und eines alteingesessenen Landesherren nicht würdig. Ein Wort
ergab das andere und da Lady Altair nicht von ihrem Anspruch abweichen
wollte, und sie außerdem eine recht spitze Feder führt, kam es am Ende, wie
es wohl kommen mußte. Sie warf Lord Egbert den Fehdehandschuh ins Gesicht,
und das nicht nur im übertragenen Sinne sondern auch tatsächlich und es
sieht so aus, als würde dies das baldige Ende ihrer Regentschaft bedeuten.
Überhaupt sind es immer wieder neue Erbstreitigkeiten und Testamentsfragen,
welche in den letzten Jahren mit teilweise haarsträubender Verbissenheit
diskutiert und herumgewälzt werden. Ich möchte hier nicht näher in Details
eindringen, aber diese Debatten werden teils so heftig geführt, daß man
meinen könnte, jeder Herrscher auf Tamar, welcher dereinst einmal einen
letzten Willen formulieren möchte, sollte dafür einen Advokaten anstellen,
damit das Dokument auch wirklich aufs Feinste ausgearbeitet ist. Da wird
über Formulierungen gestritten und ob Schenkungen und Pachten wieder an
ursprüngliche Besitzer zurückfallen, ob denn Ansprüche in zweiter und
dritter Person noch rechtens sind und dergleichen Nichtigkeiten mehr.
Kaum noch jemand macht sich Gedanken darüber, wie geschmacklos solche
Wortgefechte über den letzten Willen eines für immer von uns gegangenen
Regenten sind. So manche Lady und mancher Lord würden sich im Grabe
umdrehen, wenn sie wüßten, wie ihr einstmals geachteter Name und ihr
Andenken derart entweiht und in den Schmutz gezogen werden.
Lady Damasa, welche vor einiger Zeit mit vielen unbequemen Fragen über den
Orden auf sich aufmerksam machte, ist leider vor kurzem dahingeschieden.
Besonders Lord Skröggur brachte seine Trauer über ihren Tod mit rührenden
Worten zum Ausdruck. Kurze Zeit später wurde dann auch der Grund für diese
besondere Trauer klar, als aus einigen öffentlich gemachten Schreiben
hervorging, daß ihn und Lady Damasa die zarten Bande einer leider zu lange
unausgesprochenen Liebe verbanden.
Bruder Justus, seines Zeichens Mitglied im Orden des heiligen Willibaldus,
machte mit einem Angriff auf das Kloster des Kathekhysmus von sich reden,
in welchem normalerweise der Papst residiert. Justus behauptet, daß der
Papst nicht der sei, der er zu sein scheint. Kaiser Guother verurteilte den
Angriff aufs Schärfste und verhängte dann die so genannte "Reichsacht" über
Bruder Justus, welches wohl eine Art Bann oder Bestrafung bezeichnet. Es
wurde nicht genauer verkündet, was diese "Reichsacht" denn nun genau zu
bedeuten habe.
Vicomte Yildraus, der für den Kaiser den Posten des Großinquisitors
bekleidet, attackierte unvermittelt Lord Aquilar. Dieser hat sich nach
Aussage von Yildraus und des Kaisers, der den Angriff gut hieß, nicht näher
bezeichneter Verbrechen gegen das Kaiserreich schuldig gemacht. Eine
genauere Erklärung, welche Verbrechen denn ein solches Vorgehen und den Tod
von zehntausenden unschuldigen Einwohnern der Aquilarschen Reiches
rechtfertigen, konnte ich jedoch bisher nicht finden. Es wurde nur
verkündet, daß es eine Gerichtsverhandlung im Kaiserreich gegeben habe, auf
der das Urteil über Lord Aquilar gefällt wurde. Dieser Krieg währte nur
kurz und schon wenige Jahre später war Lord Aquilar geschlagen. Es wurde
zwar ein Frieden verkündet und Kaiser Guother verzieh Aquilar all seine
angeblichen Sünden, doch wer sich die Mühe macht, die Bedingungen dieses
Friedens zu studieren, der wird schnell erkennen, daß Lord Aquilar kaum
eine andere Wahl hatte und der größte Teil seiner Ländereien dem
Kaiserreich zufielen. Da ist wohl eher von einer Entmachtung, als von einem
wirklichen Friedensschluß zu sprechen.
In diesem Zusammenhang wurden auch Vorwürfe laut, der Guridh-Orden und das
Kaiserreich wären zu sehr miteinander verwoben, wodurch eine starke
Machtkonzentration zustande käme. Sowohl von Seiten des Kaisers, als auch
von Mitgliedern des Ordens wurde zwar sofort betont, daß beide vollkommen
unabhängig voneinander seien und sich nicht gegenseitig beeinflussen
würden, aber es gibt schon sehr zu denken, daß wichtige Posten des
Kaiserreiches und des Guridh-Ordens von den selben Herren bekleidet werden.
Die Vermutung, daß der Orden zum Hilfsmittel von Kaiser Guother bei dessen
offensichtlich immer aggressiverer Politik gegen vermeintliche Feinde des
Kaiserreiches wird, drängt sich geradezu auf und läßt für die nächsten
Jahre einiges an Zündstoff erwarten.
Ebenso wie der selbsternannte Papst hielt es auch der neue Kaiser Guother
angesichts seiner zusehends größeren Macht und des hinter ihm stehenden
Guridh-Ordens für nötig, auf seine Berufung von höherer Stelle hinzuweisen.
Er ließ nämlich verlauten, daß er vom Allvater, seines Zeichens der Gott im
Glaubensbild des Kathekhysmus, als Kaiser eingesetzt worden sei. Ob der
Allvater seine Ernennung zum Kaiser nun gutheißt oder nicht, liegt nicht in
meinem Ermessen, aber soweit ich weiß, werden die Kaiser der Neuzeit
lediglich aufgrund der Anzahl ihrer Vasallen ernannt und nicht von Göttern
eingesetzt, aber wenn schon der Papst seine Order von allerhöchster Stelle
empfängt, dann kann der Kaiser da schließlich nicht hintenanstehen.
Tamar, im Jahre 365
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