Seid gegruesst, edle Damen und Herren!
Kaum, daß ich in meinem letzten Eintrag auf die Klagen einiger Herren
hinwies, die Götter Tamars betrreffend, hat sich da ganz unverhofft etwas
getan. Wie ich berichtete, gab es ja zunehmend Beschwerden, die Götter
würden auf die Begehren des gemeinen Volkes nur ungenügend reagieren.
Speziell das in den Augen einiger Regenten unverhältnismäßig hohe Verlangen
nach teuren Luxusgütern wurde den höheren Mächten angelastet. Seit einigen
Jahren aber hat das Verlangen nach Luxusgütern unter den Völkern Tamars
merklich nachgelassen, und es steht zu vermuten, daß hierbei ein Einfluß
von höherer Stelle nachgeholfen hat.
Neuerliche Klagen rief allerdings ein extrem starkes Auftauchen von
Untotenarmeen hervor. Innerhalb kurzer Zeit gelang es den Untoten, große
Ländereien in ihren Besitz zu bringen und mit großer Zahl überall auf Tamar
über die Länder der Menschen herzufallen. Seltsamerweise verschwanden die
Untoten nach ungefähr zwei Jahren ganz plötzlich und ohne erkennbaren
Grund. Bisher sind mir noch keine neuen Berichte über eine Plage solchen
Ausmaßes zu Ohren gekommen.
Dafür sorgen in letzter Zeit die Orks wieder für Unmut. Es ist ein
scheinbar endloses Ringen um die begehrten Gebiete in den Gebirgen Tamars.
Dort sind schließlich zahlreiche Mineralien und Erze zu finden, die für die
Warenproduktion vieler Reiche beinahe unersetzbar sind. Leider sind die
Orks unnachgiebig, was die Besitzrechte an den Gebirgen anbelangt und sie
denken gar nicht daran, sich freiwillig zurückzuziehen. Je stärker man sie
bekämft, umso stärker schlagen sie zurück und dabei scheinen sie einen
unerschöpflichen Vorrat an Kriegern zu besitzen. In der Taverne und in der
Halle der Aushänge werden immer wieder verschiedene Strategien im Kampf
gegen die Schwarzpelze diskutiert, von denen sich aber bisher noch keine so
recht durchzusetzen scheint.
Ebenfalls in meinem letzten Chronikeintrag berichtete ich von Lord Gorgon,
der sich mit respektloser und undiplomatischer Art schon kurz nach Beginn
seiner Regentschaft einen mehr als zweifelhaften Namen gemacht hatte.
Insbesondere mit Lord Garibaldi hat er manchen verbalen Strauß
ausgefochten. Er war von mehreren Seiten gewarnt worden, daß seine Art ihm
ein schnelles und unerfreuliches Ende bringen könnte. Leider hat er sich
dann seiner Herrschaft auch nicht lange erfreuen können, denn schlußendlich
verlor Lord Garibaldi die Geduld und beendete die leidige Angelegenheit
auf eine recht aprupte Weise. Mir liegt dazu der Bericht von Lord McLeoid
vor, der folgendes Schreiben in der Halle der Aushänge veröffentlichte:
Tja, das Glück war ihm nicht hold. Die Konsequenzen waren fürchterlich.
Meine neutralen Kriegsbeobachter berichteten mir von der Eroberung Gorgons
Hauptstadt durch den Captain Garibaldi.
Was sie sahen, war eine noch nie gesehene Kriegsdisziplin und
Ritterlichkeit. Garibaldis Truppen griffen die noch kaum befestigte Stadt
an, wobei sich ihnen die Truppen des Gorgon entegegenstellten. Die
Bevölkerung traute sich vor Angst kaum aus ihren Häusern, man entdeckte nur
hie und da ein Gesicht verstohlen aus einer Ecke eines Mauerlochs heraus
schauend. Des Captains Truppen hatten leichtes Spiel mit dem Feind, die
Schlacht dauerte kaum eine halbe Stunde (dies erinnert mich ein bisschen an
die Schlacht bei Culloden, als die gut ernährten Rotröcke leichtes Spiel
mit unseren erschöpften Clanbrüdern hatten).
Was dann geschah, erstaunte unsere Kundschafter. Normalerweise gehen die
Sieger hin, um zu plündern und zu schänden. Die gut ernährten Truppen
Garibaldis hatten dies nicht nötig. Sie hatten auch keinen Anreiz, da es
sowieso fast nichts zu holen gab. Dass einige wenige in der darauf
folgenden Zeit trotzdem über die Stränge schlugen, soll nicht über
Ritterlichkeit und Disziplin de Truppen hinweg täuschen. Diejenigen
erfuhren mit harten Mitteln, was es heisst, seines Commanders Befehle zu
missachten...
Als nach der Schlacht nichts weiteres passierte, fassten sich die Bauern
und Bürger ein Herz und öffneten die Türen ihrer Behausungen (Häuser kann
man fast nicht sagen). Sie wurden von Garibaldis Mannen mit reichlich
Lebensmittel und Hilfsgütern empfangen. Doch auch hier, wo die
Ritterlichkeit überwiegt, waren die Klagelieder der Mütter zu hören, deren
Söhne in der Schlacht umkamen.
Nun, dieses Kapitel scheint zu Ende zu sein, doch hat man Gorgon und sein
Sprecher Siegmund nach unseren Beobachtungen nicht gefasst. So wollen wir
aber trotzdem hoffen, dass die Familie der Gorgonenhäupter (Medusa,
Gorgon....?) auf Tamar keinen Schaden mehr anrichten kann...
Der Krieg zwischen den Herren Aquilar und Gorix scheint nun ebenfalls
beendet zu sein. Eine interessante Episode ereignete sich, kurz nachdem das
Ende des Krieges durch Lord Gorix verkündet wurde. Gorix behauptete
plötzlich, daß sich eine Armee Aquilars in unmittelbarer Nähe zu einer
seiner Städte befände. Mehrere unabhängige Herren, welche in der fraglichen
Stadt Kundschafter zu stehen hatten, konnten diese Behauptung aber nicht
bestätigen, sondern erklärten im Gegenteil, daß dort weit und breit nichts
von einer solchen Armee zu sehen sei. Entweder war das ein recht kläglicher
Versuch des Lord Gorix, sich einen Angriffsgrund zurechtzulegen oder er hat
die Ausbildung seiner Kundschafter schmählich vernachlässigt, daß jenen ein
solcher Fehler unterlaufen konnte. Der Lehnsherr von Baron Aquilar, der
ehrenwerte Godefroy, ist im übrigen überhaupt nicht gut auf Gorix zu
sprechen, weil dieser sich in diesem Konflikt weder an ihn gewandt, noch
seine Nachrichten beantwortet hatte.
überhaupt scheinen mir Anstand, Respekt und ein gepflegter Umgangston im
Schriftverkehr der vielen Reiche Tamars untereinander arg gelitten zu
haben. Eine angenehme Ausnahme bilden da die Schreiben von Lady Ssringa,
welche einen höchst fähigen Barden angestellt hat, dessen Schreiben im
Auftrage seiner Herrin einen sehr gefälligen Ton treffen. überhaupt scheint
diese Lady trotz ihres noch jungen Alters und ihrer noch recht jungen
Geschichte auf Tamar nur das Beste in allen Menschen hervorzubringen, mit
denen sie in Kontakt steht. Als ihr Barde in einem Aushang von einer
Krankheit seiner Herrin berichtete, da rafften sich einige Herren zu
Genesungswünschen auf, die man ihnen gar nicht zugetraut hätte. Selbst hohe
Minne und ausgefeiltes Versmaß wurden vorgetragen, um der Lady Besserung zu
wünschen, für welche diese sich nach ihrer Gesundung ebenfalls in
ausgesuchten Worten bedankte.
Es erfreut meine alten Augen, neben all den immer wiederkehrenden Berichten
von Kriegen und Streitereien auch einmal solch wohl gestaltete Briefe zu
lesen, aus denen die wahre Kunst eines Dichters spricht. Wohl den Lords und
Ladies, die einen solchen Barden in ihren Reihen wissen oder selbst solch
kunstvolle Schreiben aufsetzen können.
Aus den Reihen des Guridh-Ordens erreichte dieses Mal eine Nachricht von
Lord Laurentius die öffentlichkeit. Nachdem dieser viele Jahre im Kampf
gegen die Orks verschollen war und dann auf wundersame Weise wieder
auftauchte, hatte er ja die Geschäfte in seinem Reich wieder selbst in die
Hand genommen. Nun allerdings erklärte er seinen Rückzug von allen
Geschäften. Er gab weiterhin bekannt, daß er sich auf der gleichen Insel
zur Ruhe setzen wolle, auf der schon sein Bruder Guother und dessen
Gemahlin Veridian ihren Alterssitz gefunden haben. Sicher wird er dort
seinem Bruder eine willkommene Hilfe bei dessen Rosenzucht sein, deren
Gedeihen ihm im Alter die Tage versüßt.
Wie mir versichert wurde, ist Laurentius diesen Weg aus freien Stücken
gegangen und sein Weggang wurde, wenn auch mit Trauer, vom gesamten Orden
akzeptiert, hatte er sich doch in den Jahren seiner Regentschaft als
Heerführer des Ordens große Verdienste erworben.
Schon lange wurde gemunkelt, daß der vor vielen Jahren verstorbene Lord
Jinx eventuell Nachkommen hinterlassen habe, die sich einstmals zu erkennen
geben würden, um das Erbe des bekannten Vaters anzutreten und in seine
Fußstapfen zu treten. Der geneigte Leser mag selbst den entsprechenden
Aushang begutachten, der diesen Gerüchten ein überraschendes Ende
bescherte:
Es ist spät geworden diese Nacht. Ich lösche die Kerzen und gehe ins
Bett. Nach diesem langen und arbeitsreichen Tag kommt der Schlaf
schneller als sonst.
Plötzlich schrecke ich hoch. Kalter Wind fährt durch mein Zimmer, hat
das Fenster aufgerissen und lässt mich zittern. Als ich aufstehen und
es schließen will, meine ich eine Stimme zu hören. Sie ist sehr leise
und ich verstehe sie nicht. Es scheint, dass sie aus der Wand kommt.
Ich werfe mir meinen Mantel über und beschließe, der Stimme zu folgen.
Draußen auf dem Gang ist kein Ton zu hören. Doch war da nicht wieder
dieses Wispern? Meine Hand ertastet den Dolch an meiner Seite. Ein
beruhigendes Gefühl. Leise schleiche ich durch meine Residenz, horche
immer wieder woher die Stimme kommt. Sie wird lauter und langsam
verstehe ich auch was sie ruft. Es ist mein Name!
Schliesslich stehe ich vor der Tür zum großen Saal. Es ist eindeutig.
Die Stimme kommt aus diesem Raum. Jetzt, wo ich sie deutlich hören
kann, kommt sie mir vertraut vor. Doch ich weiß nicht woher. Ich
betrete den Saal und schaue mich um. Niemand ist hier... Langsam gehe
ich durch den Raum, doch wohin ich auch blicke - außer mir ist niemand
da. Ich beschließe, wieder ins Bett zu gehen. Vielleicht habe ich
gestern zu viel gearbeitet und mir das alles nur eingebildet...
Ich drehe mich um und fahre zusammen. Eine dunkle Gestalt steht im
Saal! Sie trägt eine prächtige Rüstung, einen Panzer, den ich sehr gut
kenne. Vor mir steht - mein Vater. Baron Jinx, dessen Körper wir vor
so vielen Jahren zu Grabe trugen, in eben jener Rüstung. Ich bin starr
vor Erstaunen und Schreck. Doch mein Vater ist nicht lebendig. Sein
Geist steht hier und spricht zu mir.
"Mein Sohn... Die Zeit ist gekommen. Ich werde Tamar verlassen und in
Mandos Hallen ruhen. Ich blieb lange auf Tamar, zu deinem Schutze.
Doch du brauchst meine Hilfe nicht länger." Die Gestalt zieht ein
großes Schwert hervor. "Nimm meine Klinge. Die Toten brauchen keine
Waffe, dir jedoch wird sie von Nutzen sein." Langsam greife ich nach
dem Schwert meines Vaters. Als meine Finger sie berühren, umfängt mich
Dunkelheit.
Schweißgebadet wache ich auf. War das alles nur ein Traum? Doch dann
fällt mein Blick auf ein Schwert, welches zu meinen Füßen liegt. Das
Schwert meines Vaters, das in der Gruft auf seiner Brust ruhte...
Ich entspreche dem Wunsch meines Vaters und beende die Ungewissheit.
Mein Name ist Feanor Curufinwe. Ich bin der Sohn von Baron Jinx und
Lady Virago. Möge mein Reich beitragen Tamar Frieden zu bringen.
Zuguterletzt möchte ich noch auf einen Wettstreit der friedlichen Art
hinweisen, der unlängst ausgerufen wurde. Lord Tankred Guother hat einen
Minnewettstreit ins Leben gerufen. Hierbei können Lords und Ladies aller
Länder, ungeachtet ihrer Abstammung oder ihrer Muttersprache, sich im
wohlklingenden Umgange mit Versmaß, Reim und Melodie beweisen. Es gibt
keine speziellen Regeln, welche Form die Beiträge haben sollten, so daß der
künstlerischen Freiheit nichts im Wege steht. Es wurden von Lord Tankred
auch einige beachtliche Geldpreise für die Sieger ausgelobt, welche von
einer Gruppe von Juroren gekürt werden sollen.
Tamar, im Jahre 335