Seid gegruesst, edle Damen und Herren!
Während ich im letzten Chronikeintrag eher ruhige Zeiten beschrieb,
überschlugen sich in den letzten Jahren wieder die Ereignisse.
Lord Samyl rief ein eigenes Handelsprojekt ins Leben, was wiederum Lady
Elenora Dannen auf den Plan rief, die Konkurrenz befürchtete. Dabei sollte
es auf Tamar genug Möglichkeiten geben, daß es für mehr als nur ein
Handelsimperium reicht. Die meisten Lords und Ladies, die mit einem der
beiden handeln, sind sowieso eher der Meinung, daß etwas Konkurrenz nur gut
für die Entwicklung der Preise sein kann.
Lord Lipsius, der seit geraumer Zeit versucht, der mal wieder um sich
greifenden Plage der Piraterie Einhalt zu gebieten, macht sich mit seinem
Vorgehen nicht nur Freunde. Die öffentliche Anprangerung möglicher
Piratenunterstützer findet unter vielen seefahrenden Herrschern keinen
Gefallen, da sie sich zu Unrecht unter Verdacht sehen.
Da die tatsächlichen Piraten nur höchst selten zweifelsfrei ausgemacht
werden können, sind einige Herren entsprechend dem Beispiel von Lord
Lipsius dazu übergegangen, alle eventuell in Betracht kommenden Reiche
aufzuführen, deren Schiffe zum Zeitpunkt des Überfalles in der Nähe waren.
Dabei sind zwangsläufig auch Unschuldige unter den Genannten, und schon
beginnt das große Leugnen und Unschuld beteuern sowohl der unfreiwillig
Betroffenen als vermutlich auch der tatsächlichen Freibeuter; einer
angeblich unschuldiger als der andere.
Neulich traf ich in der Taverne mit dem jungen Herrn Tankred zusammen. Ich
genieße stets seine Anwesenheit, ergibt sich doch für mich dabei fast immer
die Möglichkeit eines ausgiebigen Gespräches. Der Sohn des Großmeisters
Guother vom Guridh-Orden ist wohlerzogen und gebildet und es ist eine
Freude, mit ihm die Neuigkeiten und Tagesgespräche zu erörtern.
Bei unserem kürzlichen Gespräch mußte ich leider erfahren, daß Lord
Laurentius, der Feldherr des Guridh-Ordens und Tankreds Onkel, in den
Orkkriegen verschollen ist. Seit einiger Zeit machen nämlich wieder
vermehrte Angriffe der Orks von sich reden. Allerorten haben sich große
Horden der schwarzpelzigen Unholde gezeigt und so hatte auch Laurentius mit
der Plage zu kämpfen. Er selbst führte seine Mannen in den Kampf und gilt
seit den ersten Kämpfen als vermißt. Tankred selbst wollte sich auf die
Suche nach Laurentius begeben, und ich kann nur hoffen, daß sich alles zum
Guten wendet und ich beide bald wieder in der Taverne begrüßen kann.
Als ich neulich die Halle der Aushänge besuchte, bemerkte ich eine laut
diskutierende Traube von Menschen vor einem großen Anschlag. Darauf wurde
verkündet, daß sich Herzog Lucksi auf sein Altenteil zurückziehen will.
Kaum noch für möglich gehalten, da mancher schon dachte, der Herzog habe
das ewige Leben für sich gepachtet, ist es nun doch soweit. Lucksi dankt ab
und zieht sich aus allen Regierungsgeschäften zurück. Ich selbst habe
diesen Entschluß mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen. Immerhin
war ich in der Vergangenheit nicht gut auf Herzog Lucksi zu sprechen, aber
die Zeit hilft vergessen und er hat sich mir gegenüber in den letzten
Jahren bei seinen häufigen Besuchen in der Taverne nichts zuschulden kommen
lassen. Sein Bild, daß all die Jahre neben der Tavernentür hing, ist längst
verblichen und ich habe es nun, nach der Nachricht von seinem Abdanken
endgültig entfernt. Etliche Herrscher haben sich auf Lucksis Schreiben hin
zu Wort gemeldet und wenn auch die meisten recht froh sind, daß er geht, so
haben sie ihm doch mehrheitlich für seine lange Regentschaft Respekt
gezollt.
Ein weiteres Schreiben dagegen sorgte nahezu einhellig für große Trauer auf
Tamar. Nur wenige Jahre nach seiner Ernennung zum Kaiser ist Satai Skar,
diesen Titel bevorzugte er persönlich, kürzlich verstorben. Während sich
viele Herrscher mit Trauer über den Verlust äußerten, machte eine schon
vormals unangenehm aufgefallene Person durch mangelndes Feingefühl auf sich
aufmerksam.
Die Rede ist von der sattsam bekannten Lady Medusa, wenn sie diesen Titel
auf diplomatischem Gebiet auch nur schwerlich für sich beanspruchen kann.
Kaum, daß Satai Gowenna, die Nachfolgerin Skars und Verwalterin von dessen
Ländereien, seinen Tod verkündet hatte, mußte sich Medusa mit ihrem
hinlänglich bekanntem Gezänk zu WOrt melden.
Wild zog sie über den Verblichenen her und beschwerte sich nach
Leibeskräften über dessen Verhalten zu Lebzeiten. Dies ist wirklich ein
übles Verhalten, sich nicht einmal im Angesicht des Todes eines Herrschers,
der die Geschicke Tamars für so lange Zeit mitbestimmte, in etwas Andacht
und Zurückhaltung zu üben.
Medusa hat in den letzten Jahren die Geduld ihrer Nachbarn, wie auch
anderer Herren auf Tamar, wirklich über Gebühr belastet. Stets hatte sie zu
schimpfen, zu zanken und Unfrieden zu stiften. Mal war sie für den einen
Herren, dann wieder gegen den Anderen. Ihre Bemühungen, sich Verbündete zu
suchen, scheiterten an ihrem fehlenden Gespür für geschickte Verhandlungen
und Konversation.
Dazu haderte sie in der Öffentlichkeit auch noch damit, daß ihr niemand
Unterstützung gewährte, und sie nur ein Spielball im Kräftemessen viel
größerer Reiche und Bündnisse sei. Angesichts ihres Auftretens und ihrer
zahlreichen Zankbriefe ist das aber wirklich kein Wunder und die Zahl
derer, die ihr Reich gerne zerstört und Medusa tot sähen, wächst stetig.
Schließlich mußte ihr Nachbar Mythor dran glauben, dessen kleines Reich sie
vernichtete und dem ihrigen einverleibte. Allerdings war dieser Krieg keine
strategische Glanzleistung und ihrem Ansehen unter den Völkern Tamars hat
er nur weiteren Schaden zugefügt.
Selbst Gowenna, welche erst seit kürzester Zeit in der Öffentlichkeit
auftritt, zeigte sich von den ständigen Sticheleien und Pamphleten Medusas
äußerst belästigt und genervt. Mittlerweile wird es wohl vielen Lords und
Ladies ähnlich gehen wie mir selbst. Wenn ein Schreiben in der Halle der
allgemeinen Aushänge mit Medusas Namen gekennzeichnet ist, dann überfliege
ich es höchstens kurz und widme mich dann schnellstmöglich angemehmerer
Lektüre.
Der Wegfall der Herren Lucksi und Skar hinterläßt zwei große Reiche, die
nun drohen, in den Staub der Geschichte zu sinken. Dabei entstehen nun
große Lücken in dem komplizierten Gefüge aus Macht, Landbesitz und
Reichtum, Vasallen und Lehnsherren, Bündnissen und Feindschaften, das sich
über die vielen jahre herausgebildet hatte. Ich hoffe nur, daß sich dadurch
nicht eine Zeit furchtbarer Kriege anbahnt, welche Tamar für Jahre in
Dunkelheit und Chaos stürzen könnten.
Tamar, im Jahre 310