Jahr 290
Seid gegruesst, edle Damen und Herren!
Dies sind in der Tat unruhige Zeiten. Kaum, daß Lucksi Balthasar den Krieg
erklärt hatte, kündigte dieser an, Tamar für immer verlassen zu wollen. Er
gab als Grund unter anderem an, daß sich die Verhältnisse schon lange Zeit
festgefahren hätten und daß selbst jetzt, da er im Krieg mit Lucksi stünde,
die meisten anderen Lords nur tatenlos zuschauen und sich nicht zu einer
Seite bekennen würden. Nach dieser Ankündigung taten ihm dann sogleich
einige Herren den Gefallen und erklärten ihm den Krieg, darunter die Herren
Agomar und Skar. Allerdings bleibt da der Verdacht, daß sich einige Lords
im Angesicht von Balthasars Rückzug nur auf leichtem Wege einige Ländereien
und Städte sichern wollen. Wie mir weiterhin zugetragen wurde, haben auch
einige der ehemaligen Vasallen Balthasars Truppen ausgehoben und besetzen
nun teilweise dessen Ländereien. Dies geschieht nach meinen Informationen
deshalb, weil Balthasar ihnen Land für Vasallendienste versprochen hätte,
welches sie aber nicht erhalten hätten und sich deshalb nun im Recht sehen,
dieses nun, da keine Gegenwehr zu fürchten ist, an sich zu reißen.
Leider ist dieses nicht der einzige Schauplatz eines Krieges derzeit, denn
auch um Lord BlackAdders Land herum wird erbittert gefochten. Dieser Lord
ist erst seit wenigen Jahren Regent, doch sorgte die schnelle Entwicklung
seines Reiches für einiges Aufsehen. Er konnte in kürzester Zeit recht viel
Land an sich bringen. Dabei nahm er jedoch einigen kleineren und in ihrer
Entwicklung nicht ganz so erfolgreichen Reichen die Möglichkeit, selbst
ihre Ländereien zu vergrößern, was ihm einigen Unmut derselben einbrachte.
Dann gründete Lord BlackAdder an der Grenze der von ihm bereits erkundeten
Ländereien eine Stadt, was dazu führte, daß in dem ihm noch unbekannten
Gebiet zwei Städte der Herren Ansgar und Laurentius ausgelöscht wurden. Es
ist mir zwar vollkommen rätselhaft, wie so etwas passieren konnte. Auch die
anderen Lords von Tamar konnten keine glaubhaftere Erklärung liefern, als
jene, daß da wohl die Götter ihre Hand im Spiel hatten, trotzdem forderten
die beteiligten Lords eine Wiedergutmachung von BlackAdder, welche dieser
jedoch nicht leisten wollte.
Schließlich spitzte sich die Situation weiter zu, als in der Halle der
Aushänge ein Schreiben auftauchte, in dem ein sich selbst als Richter
bezeichnender unbekannter Schreiber BlackAdder für vogelfrei erklärte und
seinen Tod forderte. An dieses Schreiben waren die Namen fast aller
nachbarreiche von Lord BlackAdders Reich angefügt. Die aufgeführten
Herrscher stritten zwar fast ausnahmslos eine Beteiligung an dem Schreiben
ab und verwahrten sich gegen die Nennung ihres Namens, aber die Lage wurde
immer gespannter. Schließlich erhoben sich mehrere Reiche gegen Lord
BlackAdder und nun ist die ganze Region in einen Krieg verwickelt.
Als wären das nicht genug der schlechten Nachrichten, ist mir auch zu Ohren
gekommen, daß wieder verstärkt Horden von Untoten aufgetaucht sind und
mordend und brandschatzend durch die Lande ziehen. Diese Armeen sind
anscheinend sogar in der Lage, die Hilfe schwarzer Drachen in Anspruch zu
nehmen, um ihr Mordlust zu stillen. Zumindest sind diese gefährlichen
Echsen in ihrer Nähe gesichtet worden.
Zu den Drachen konnte ich einiges Wissenswertes in Erfahrung bringen. Die
einzelnen Unterarten, welche sich hauptsächlich in ihrer Farbe, aber auch
in Kampfkraft und Panzerung unterscheiden, legen ein recht
unterschiedliches Verhalten an den Tag.
Nach dem, was ich erfahren habe, sind bisher hauptsächlich drei Arten in
Erscheinung getreten: die goldenen, die roten und die schwarzen Drachen.
Während die schwarzen Echsen anscheinend die schwächsten sind, sind die
roten stärker und ungleich aggressiver. Sie sind auch die bisher einzige
Art, die ganze Städte zerstört und das Land weitflächig verbrennt und als
ihr Gebiet betrachtet. Die goldenen Drachen sind zwar die stärksten, aber
sie sind nicht so angriffslustig wie die roten Vertreter, denn sie
attackieren nur Armeen und Schiffe, welche ihnen zu nahe kommen.
Im Frühjar 289 wurde Lord Skar zum König ausgerufen. Er ist damit der erste
und bisher einzige Herrscher, der diesen Titel führt. Der Titel des Königs
hat allerdings nicht mehr den Stellenwert, den er noch zu Zeiten des
unvergessenen Königs Abanor hatte. Dieser war mit diesem Titel noch
alleiniger und unumstrittener Herrscher über alle bekannten Ländereien
Tamars.
Heutzutage werden die einzelnen Titel, wie Baron, Herzog, Graf oder eben
auch König nahezu ausschließlich durch die Zahl von Vasallen bestimmt,
welche der Titelträger unter seiner Herrschaft vereint. Nichtsdestotrotz
ist die Erlangung des Königstitels eine Leistung, welche durchaus Respekt
verdient, da auch die Überzeugung einer solchen Menge an Vasallen und die
Führung des damit verbundenen großen Reiches ein gerütteltes Maß an Können
auf dem Gebiet der Diplomatie wie auch der Feldherrschaft verlangt.
Zum Abschluß möchte ich noch über ein höchst seltsames Ereignis berichten,
welches uns erst vor kurzem ereilte. Im Sommer des Jahres 290 begab es
sich, daß von einem Tag auf den anderen fast alle Herrscher auf Tamar den
Verlust ihrer wichtigsten Bauwerke in ihren Städten zu beklagen hatten.
Während die Hütten und Häuser der einfachen Bürger verschont blieben, waren
fast alle größeren Bauwerke zu Schutt und Asche zerfallen.
Mühlen, Schmieden, Kornlager, Burgen, Akademien und mehr waren einfach
zerstört. Besonders besorgt waren die Menschen, daß dieses Ereignis zur
selben Zeit auf allen Inseln und Kontinenten sowohl der alten, als auch der
neuen Welt eingetreten war. Schnell war eine Erklärung zur Hand, welche
immer dann gerne zitiert wird, wenn einem kein anderer Grund für ein
unheimliches Geschehen mehr einfällt: Die Götter hatten wohl eine
neuerliche Prüfung für die Bewohner Tamars ersonnen. Aber es sollte noch
unglaublicher kommen, denn schon einen Tag später waren alle Gebäude wieder
vorhanden, als wäre nie etwas passiert. Das Sonderbarste war aber, daß alle
Kalender das Jahr 291 zeigten. Niemand hatte davon etwas bemerkt, aber
sofort kamen mir die Ereignisse aus dem Jahre 233 in den Sinn, als uns
schon einmal ein ähnliches Geschick ereilte. Damals verschwanden alle
Goldvorräte und nach einem Zeitsprung von einem Jahr war ebenfalls alles
wie vorher.
Tamar, im Jahre 290
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