Seid gegruesst, edle Damen und Herren!
Kaum hatte sich der Sohn des schon in dieser Chronik erwähnten Lord ONeill,
der gleichfalls schon beschriebene ONeillII. in der Taverne vorgestellt,
schon mußte ich das Bild, daß ich mir von ihm gemacht hatte, wieder
revidieren. Der Gute ist nämlich doch nicht ganz so ruhig und gesittet in
seinen Manieren, wie es anfangs den Anschein hatte. Zwar hat er mehrfach
auf seine Einzigartigkeit als erster bekannter Halbelf Tamars, mit einer
Elfenmutter, hingewiesen, aber er scheint wohl doch eher die aufbrausende
Art seines Vaters geerbt zu haben.
Neulich erschien Baron Jinx in der Taverne, seit seiner unfreiwilligen
Abdankung ohne eigenes Reich, schon gab zwischen ihm und Herrn ONeillII.
ein Wort das andere, und ehe ich einschreiten konnte, hatte letzterer ihm
den Krieg erklärt, sollte er jemals wieder ein Reich sein eigen nennen. Bei
solchem Verhalten kann es ja wohl bei der Erziehung ONeillII. mit dem
Einfluß seiner aus den Dunkelwäldern Anoriens stammenden Mutter nicht
allzuweit hergewesen sein, sind doch Elfen allgemein als eher ruhige und
friedliche Wesen bekannt.
Beim Durchsehen der Anschläge in der Halle der allgemeinen Aushänge mußte
ich besorgt feststellen, daß das Niveau der Schreiben doch stark gesunken
ist. Während früher noch wortgewandte Schmähbriefe, humorige Anekdoten und
selbst edles Versmaß den Ton bestimmten, haben nunmehr vermehrt billiges
Imponiergehabe, Kriegserklärungen wegen jeder Nichtigkeit und eines
Regenten nicht würdige Pamphlete die Oberhand gewonnen.
Da stellt ein gewisser Lord Torkan, der gerade erst ein kleines Reich
übernommen hat, schon Ansprüche auf das umliegende Land. Da erklärt
selbiger Torkan einem anderen Lord wegen einer einzigen nebensächlichen
Bemerkung den Krieg, obwohl die Reiche beider Lords weit auseinanderliegen
und nur durch Schiffe zu erreichen wären, wobei Lord Torkan noch gar keine
Kenntnisse über Schiffbau und Seefahrt hat.
Baron Baltasar wiederrum, der schon früher durch aufdringliches Werben für
sein Händlergewerbe auffiel, stellt selbstgefällig eine Auflistung seiner
Lagerbestände zur Schau und macht sich dabei doch nur lächerlich mit seiner
Selbstbeweihräucherung. Außerdem warb er öffentlich für Kreditvergaben
durch sein Land, wo gerade das Kreditgeschäft von jeher hauptsächlich durch
Diskretion und private Absprachen geprägt ist. Ich bin fast schon froh, das
Alberich das nicht mehr mit ansehen muß, denn der wäre sicher wieder
tagelang schimpfend durch seine Residenz gezogen und hätte seinen Unmut an
diversen Einrichtungsgegenständen ausgelassen.
Der hier schon mehrfach erwähnte Lord Drake hat vor kurzem ein großes
Turnier in seinem Lande angekündigt. Erst einmal ist es ja löblich, daß er
es übernimmt, einen großen Wettstreit in der Tradition der Tamarschen
Wettspiele abzuhalten, alleine die Erhebung eines Startgeldes stößt
mancherorts auf Mißfallen. Zwar werden die Startgelder durch unabhängige
Lords eingenommen und sie sollen auch als Preisgelder wieder ausgezahlt
werden, aber frühere Wettstreite kamen ohne ein solches Prozedere aus,
zumal dadurch erst einmal manchem jüngeren Lord die Teilnahme am Turnier
verwehrt blieb, weil er das Startgeld nicht aufbringen konnte.
Zum Glück hat sich Baron Godefroy bereit erklärt, für einige Lords das
Startgeld zu erbringen, damit diese sich im Wettstreit messen können. In
früheren Zeiten fand sich bei solcher Gelegenheit doch stets jemand, der
bereit war, einige stattliche Siegprämien zu stiften und es gibt doh
wahrlich auch heutzutage genug Länder, die genug Gold im Säckel haben, um
da auszuhelfen. Wenn sich auch sonst der leidige oberste Lehnsherr von Lord
Drake, der schon vielmals angesprochene Vicomte Lucksi, nur allzugerne
schützend vor jenen stellt und ihm seine Kriegszüge finanziert, so ist er
doch nicht auf den Gedanken gekommen, hier einmal wahre Großzügigkeit zu
beweisen.
In der Halle der Anschläge wird in letzter Zeit wieder verstärkt für
verschiedene Religionen und Glaubensrichtungen geworben, und es werden dem
interessierten Leser die jeweils zugehörigen Grundsätze erläutert. Ich
werde diese Aushänge gründlich studieren und eventuell in einer der
nächsten Chronikausgaben genauer auf einige dieser Glaubensrichtungen
eingehen.
Tamar, im Jahre 270