Seid gegruesst, edle Damen und Herren!
Nun ist schon einige Zeit ins Land gegangen, seit mein vormaliger
Dienstherr, Baron Alberich, mit unbekanntem Ziel die Küsten Tamars für
immer verlassen hat. Leider ist nun auch Baron Fox von uns gegangen, mit
dessen Reich wir stets in guter Nachbarschaft lebten. Die Gründe für sein
Dahinscheiden sind etwas unklar, aber man munkelt von Freitod. Leider sind
damit auch die Pläne zu den dritten Tamarschen Wettspielen gescheitert.
Hoffentlich findest sich ein Herr, der diese Wettspiele wieder ins Leben
zurückrufen kann.
Derzeit herrscht auf Tamar in weiten Gebieten Frieden, der lediglich durch
das zuweilen unerträgliche Gekläff von Herrn Drake gestört wird. Dieser
Lord, auf der Insel Exevor beheimatet, hat sich mittlererweile zu einer
echten Plage entwickelt. Unter dem Schutz seines obersten Lehnsherren,
Vicomte Lucksi, und mit dem Wissen um dessen Stärke attackiert er ständig
seine Nachbarn mit verbalen Ausbrüchen der übelsten Art. Dabei spielt er
sich quasi zum Herren von Exevor auf und bezeichnet sich als Verwalter in
Lucksis Auftrag. Sein eigentlicher Lehnsherr, der von uns stets als
ehrenvoll empfundene Baron Gallahad, hüllt sich leider nur allzuoft in
Schweigen und läßt seinem Untergebenen offenbar freie Hand.
Zu allem Unglück ist Lord Drake aus dem lange tobenden Konflikt mit Baron
Godefroy, welcher ihm aufgrund seiner ständigen Anfeindungen den Krieg
erklärt hatte, als Sieger hervorgegangen. Natürlich gelang ihm dieses nur
durch die äußerst tatkräftige Mithilfe seines obersten Lehnsherren, der
irgendwie immer dort zu finden ist, wo es gerade Streit gibt.
Baron Godefroy ist mir im Übrigen sehr sympathisch, denn er schreibt in der
Halle der allgemeinen Aushänge immer ganz herzerfrischende Kommentare zu
den Verbalattacken des Lord Drake.
Vicomte Lucksi hatte nach der Verkündung von Alberichs Fortgehen auch
nichts Eiligeres zu tun, als dessen Vasallen Ansgar zu überfallen und
diesem seine Hauptstadt zu entreißen.
Ansgar war gegen die Übermacht natürlich völlig machtlos und lebt nun auf
dem ihm von Alberich zugesprochenen Land auf Elerion. Noch niederträchtiger
erscheint Lucksis Attacke gegen ihn, wenn man weiß, das jener noch vor
kurzem im Zuge eines anderen Konfliktes, in den er verwickelt war, den
Schutz von Vasallen forderte, wenn diese sich in einen Krieg ihres
Lehnsherren nicht einmischten. Die leichte Beute von Lord Ansgars Stadt muß
Lucksi wohl zu sehr gereizt haben, noch dazu, wo er selbst gegen die
verbliebenen Truppen von Alberich nicht besonders gut aussah. Diese Männer
sollten Alberichs Städte bis zur endgültigen Auflösung des Reiches und der
Verschiffung der letzten Lagerbestände schützen.
Lucksi versuchte zwar mehrfach, Städte einzunehmen, aber dies gelang ihm
nach dem anfänglichen Gewinn der Stadt Süderhafen nicht mehr. Jedenfalls
hielten die letzten Verteidiger bis zum Ende der Aufzeichungen über
Alberichs einstiges Land stand. Die Angriffe boten auch keinen Vergleich
mehr zu einstigen militärischen Meisterleistungen von Lucksis Armeeführern.
Anscheinend ist ein verurteilter Schwarzmagier, noch dazu des Großteiles
seiner Kräfte beraubt, kein so guter Heerführer, wie der Vicomte wohl zu
wissen glaubte.
Baron Jinx ist ebenfalls von seinem Volk abgesetzt worden, dieses aber ganz
und gar unfreiwillig, denn ein unfähiger Verwalter trieb sein Land während
seiner Abwesenheit in den Ruin. Gerade erst war sein Reich zur Ruhe
gekommen, nachdem es lange Zeit im Krieg mit Lord ONeill lag. Dieser wurde
auf dem Regentenstuhl von seinem Sohn, ONeill II., abgelöst und ebenjener
schloß mit Baron Jinx Frieden.
ONeill II. konnte ich auch schon in der Taverne als Gast begrüßen. Er
benahm sich auf alle Fälle wesentlich gesitteter als sein verblichener
Vater und daher kam ich auch gerne seiner Bitte nach, dessen Bildnis von
der Wand neben der Tavernentür zu entfernen, daß dort noch von Alberich
angebracht worden war, weil Lord ONeill ihn öffentlich in der Taverne
beleidigt hatte.
Ich konnte mir jedoch ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen, als ONeill
II. das erste Mal etwas zu Trinken bestellte, denn er verlangte tatsächlich
nach einem Becher Milch. Das stellte mich im ersten Moment vor ein Problem,
denn im Allgemeinen werden in der Taverne Getränke konsumiert, die sich
durch einen mehr oder minder hohen Anteil an Alkohol auszeichnen. Da aber
der Gast stets recht hat, habe ich inzwischen einen Vertrag mit einem
Bauern aus der Nachbarschaft und seitdem ist stets auch frische Milch
vorrätig. Außerdem liefert besagter Bauer auch hervorragenden Käse, der
gerne von den Gästen verspeist wird.
An der von mir schon beschriebenen Wand neben der Tavernentür werden von
mir auch in Zukunft die Bilder von Personen ausgehängt, die sich in der
Taverne nicht angemessen benehmen oder anderweitig schwere Schuld auf sich
geladen haben. Im Moment hängt dort nur ein Abbild von Vicomte Lucksi. Das
aber wird dort hängen bleiben solange ich lebe. Dieser Mann hat einfach
zuviel Unheil über meinen unvergessenen Dienstherren gebracht, als daß ich
ihm jemals verzeihen könnte. Leider kann ich von Lord Drake, der sich auch
schon mehrfach abfällig über meinen vormaligen Dienstherren geäußert und
damit sein Andenken beschmutzt hat, kein Bild aufhängen. Der Herr ließ sich
bisher noch nie in der Taverne sehen und es gibt daher auch keine Zeichnung
von ihm.
Sicher fragt sich nun der geneigte Leser, warum ich nicht einfach solchen
unerwünschten Personen den Zugang zur Taverne verweigere. Dafür gibt es
aber eine einfache Erklärung. Die Zentraltaverne dient von jeher als
Treffpunkt für alle Herrscher auf Tamar und die Götter haben verfügt, daß
jedermann freien Eintritt hat, also darf ich niemandem den Zutritt
verwehren. So bleiben mir nur die Aushänge als Zeichen meines Unmutes gegen
gewisse Herrschaften.
Seit langem schon gibt es auf Tamar große und kleine Reiche. Während in den
kleineren Ländereien die Einwohner fast alle nur einfache Handwerker oder
Bauern sind, gibt es in den Großstädten der weiter entwickelten Reiche
viele Leute, die es sich leisten können, ihre Zeit im Müßiggang zu
verbringen.
Dieser Oberschicht steht der Sinn viel mehr nach Zerstreuung und einem
Leben in Luxus, denn nach ehrlicher Arbeit. Dazu gehört für sie auch, sich
mit Dingen zu umgeben, die einfache Menschen als sehr luxuriös oder einfach
nur unnütz empfinden. Dazu gehören edle Stoffe wie Seide und Brokat, aber
auch Gewürze, Elfenbein, Schmuck und dergleichen mehr.
In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach solchen Waren immer größer
geworden. Die großen Reiche sind jedoch nicht in der Lage, die Nachfrage
der eigenen Bevölkerung nach solchen Gütern zu befriedigen. Hier kommen nun
die kleinen Reiche ins Spiel, in denen kaum Bedarf für solche Luxuswaren
besteht. Zwar sind diese kleinen Länder nicht in der Lage, alle diese
Edelgüter herzustellen, denn das würde ihre Möglichkeiten doch übersteigen.
Allerdings auch dann, wenn sie sich nur auf eine Ware spezialisieren,
werden sie in der Lage sein, mit dieser Produktion gutes Gold zu verdienen
und sich damit auch ihren Platz in der Welt zu sichern.
Die weiteren Geschehnisse auf Tamar werde ich aus der sicheren Obhut der
mir anvertrauten Taverne betrachten und für die geneigte Leserschaft zu
Papier bringen, auch wenn die Informationen aus anderen Reichen und von
fernen Gestaden nicht mehr ganz so reichlich eintreffen als zu meiner Zeit
als Hofschreiber.
Tamar, im Jahre 265